Ausstellungen 2023

Momentum

18.06. – 16.07.2023
Eisfabrik Hannover

Könnte es sein, daß wir eine Ausstellung – eine Einzel-Ausstellung wie diese – ebenso wie die Werke immer noch als etwas Fix und Fertiges betrachten? Als sei sie so und nicht anders vom Künstler, von der Künstlerin intendiert und konzipiert worden. Sicher gibt es auch das, aber Ausstellungen sind auch Momentaufnahmen. Und vielleicht dürfen wir den Titel dieser Ausstellung, Momentum, auch in diesem Sinne lesen: Wir werden Zeugen eines ganz besonderen Moments in der Entwicklung der Künstlerin Elke Lennartz, einer Art Revolution (im Sinne einer großen Umwälzung, Umkehr). Worin sie besteht, dazu will ich im Folgenden etwas sagen.

Ich hatte das Glück, diese Ausstellung sozusagen als Work in Progress kennen zu lernen. Ich kam zunächst nicht als Redner in spe, sondern als Guckender. Mich trieb schlicht die Neugier in die Weisse Halle. Und mein erster Eindruck war ein anderer, als Sie ihn vermutlich hatten. Was vor allem auch daran lag, dass an der Wand, vor der jetzt das Ensemble der schwebenden Objekte steht, eine Installation kleiner und größerer Plastiken hing, die zusammen den Eindruck einer großen aufsteigenden Bewegung ergaben, etwas wie ein Traum und von einer träumerischen Leichtigkeit. Überreste davon finden sich an der Wand hinter Ihnen. Ich sah also zunächst eine Lust an der Form, auch an Farben, das Spiel mit einem biegsamen Material, das mich von Weitem wie Stahl anmutete, aber keiner ist. Elke Lennartz nutzt seit Jahren vielmehr Kunststoffabfälle aus industriellen Fertigungsprozessen als Grundlage für ihre Arbeit, überzieht den äußerst formbaren Stoff mit Gaze und oft auch Wachs und fasst schließlich die Plastiken farblich. Und immer häufiger arrangiert sie sie in Installationen ein. Früher, so die Künstlerin, habe sie sich v.a. mit der Form auseinandergesetzt und am Material abgearbeitet, indem sie ein gegebenes Thema endlos durchexerziert habe. Ein Arbeitsansatz, den ihr schon der Aachener Professor Joachim Bandau, bei dem sie studiert hat, vermittelt hat. Ein gutes Beispiel für diese Arbeitsweise ist die Gruppe der schwebenden Objekte im Hintergrund der Halle. Entstanden sind sie in den Jahren 2019/20 aus der plastischen Auseinandersetzung mit Bändern. Elke Lennartz arbeitet immer direkt mit dem plastischen Material, sucht nach Formen und Lösungen. Vorzeichnungen gibt es nicht. Die Zeichnungen, die auf der Empore zu sehen sind, sind parallel zu den plastischen Arbeiten entstanden. Was wir hier also sehen, sind Balanceakte. Sie können die Objekte – mit der gebotenen Vorsicht – bewegen, sie ruhen lediglich an einem winzigen Punkt auf der Spitze der Eisenstangen auf. Wir sehen verschlungene auseinanderstrebende Bewegungen, flüchtige Formen. Aber wenn wir dann auf dem Boden den Titel des Ensembles lesen, staunen wir. Ich zumindest war überrascht. Ein Name entstammt der griechischen Mythologie. LETHE, heißt die Gruppe. Zu deutsch »Das Vergessen«. Lethe ist einer der beiden Flüsse, die die Unterwelt, das Reich der Gestorbenen umfließen. Wer vom Wasser der Lethe trank, verlor seine Erinnerung ans Leben vor dem Eintritt ins Totenreich. Und da stehen wir nun, haben eine Skulpturengruppe vor uns, die durch ihre Schwerelosigkeit besticht und durchaus etwas Spielerisch-Heiteres hat – und dazu einen Titel, schwer von Bedeutung, der in ganz andere Dimensionen weist. Überhaupt die Titel, sie sind der Künstlerin wichtig. Warum sonst hätte sie sie in großen Lettern auf den Boden vor die Arbeiten geschrieben, als gehörten sie untrennbar dazu? Übrigens gibt es nur einen nicht-sprechenden bzw. kommentierenden Titel. Die Arbeit dort in der Nische, sie heißt schlicht MAISFELD, und wir dürfen die Assoziationen frei fließen lassen. Die Titel begleiten uns, wenn wir die Runde durch die Ausstellung machen. NO BALANCE etwa heißt diese hängende Arbeit mit den zwei stürzenden – oder doch flatternden – Streifen. Was hätten wir gesehen, ohne den Titel? Der lakonische Kommentar der Künstlerin dazu: »Alles hängt schon ziemlich schief«. Und mit Alles meint sie unsere Zeit, die sie zwingt, ihre Arbeit in neuem Kontext zu sehen. Die es ihr nicht länger erlaubt, sich unbefangen mit Formen zu beschäftigen. Alle Arbeiten, die Sie hier in der Weissen Halle sehen, sind in den letzten vier, fünf Jahren entstanden, deren prägende Erfahrungen und verstörende Ereignisse und Probleme uns ja nur allzu bekannt sind. Wenn wir unseren Rundgang fortsetzen, stoßen wir auf Werke, die so gar nichts mehr von der Leichtigkeit der abstrakten schwebenden Objekte haben, auch wo sie noch Ansätze verwandter Formen erkennen lassen, wie in dieser Gruppe hier hinter mir, den NACHTMAHREN. Dass die große Wandarbeit »Die Hoffnung, der Schlaf, das Erwachen«, von der ich eingangs sprach – Reste davon haben sich dort an der Wand hinter Ihnen erhalten – wieder abgebaut wurde, war zwar in erster Linie dem Gesamtbild und der Übersichtlichkeit der Ausstellung geschuldet, aber es war natürlich auch eine Entscheidung gegen die Leichtigkeit, gegen das künstlerische Spiel. Die Objekte, die jetzt das Gesamtbild bestimmen sind kompakter, das Spielerische ist verschwunden, die Haptik ist eine andere. Besonders greifbar in der Arbeit, die hier am anderen Ende der Ausstel-lung steht, VOLUPTAS CARNIS heißt sie, Fleischeslust. Zwei Wachsskulpturen liegen wie große Stücke Formschinkens – Sie wissen, dieses zusammen gespresste Zeug, das so tut, als wäre es scheibenweise aus einem Schweineschenkel geschnitten – liegen auf einer Art Metzgertisch. Dazu hat Elke Lennartz auf ihrer Website ein Zitat von Oskar Wilde gestellt: »Wir kennen von allem den Preis und von nichts den Wert«. Geht es noch deutlicher? Ja, es geht. Es geht vor allem näher ran, wenn wir nämlich auf die Emporen steigen. Dort empfängt uns eine Reihe von fünf Plastiken, die aussehen wie Hautstücke oder Schwarten. Haut, verformt, durchlöchert, aufgeschlitzt und wieder zusammengenäht, mit Näglein gespickt oder borstig. Und dazu ein Titel,der trotzig-widerständig klingt und die Frage offen lässt, wer da spricht, Tier oder Mensch, ein Opfer oder – sozusagen als lyrisches Ich – die Künstlerin selbst: ICH SUCHE EINE NEUE HAUT, DIE DIESE WELT ERTRAGEN LÄSST.

Noch 2017 konstatierte Jost Merscher an-lässlich einer Ausstellung: »Elke Lennartz‘ gelungene Kunstwerke geleiten den Betrachter durch ihre Überzeugungskraft in eine Welt, die sich selbst – und dem Betrachter – genügt«, sie führen uns »gelungenes Sein vor, ohne dessen spezifische Bedingungen zu problematisieren«. Damit scheint es vorbei zu sein. Erst einmal? Endgültig? – das wissen wir ja nicht. Aber für diesen Moment müssen wir das wohl so konstatieren. Als ich diese Arbeiten sah, VOLUPTAS CARNIS und die großen Hautskulpturen auf der Empore, kam mir noch eine ganz andere Assoziation. Nämlich zu einem Environment von Joseph Beuys mit den Beuys-typischen Elementen und Verweisen, gruppiert um und auf zwei Leichenbahren. Die Raum-Installation »Zeige Deine Wunde« stammt aus den 1970er Jahren. »Zeige deine Wunde«, so erklärte Beuys, »weil man die Krankheit offenbaren muss, die man heilen will.« Der Raum spreche von der Krankheit der Gesellschaft. Und davon spricht auch Elke Lennartz Ausstellung.

Einführung zur Ausstellung vom 18.06. – 16.07.2023
in der Weissen Halle der Eisfabrik von Peter Piontek


Ausstellungen 2022

Streifzüge
Elke Lennartz und Anna Ullrich

28. August – 25. September 2022
in der Galerie im Stammelbach-Speicher Hildesheim

 



Ausstellungen 2021


Ausstellungen 2020

Lebenszeichen

https://www.youtube.com/watch?v=IPYzh3TKwdI&feature=youtu.be


Am Anfang war das Material

Elke Lennartz / Klaus Madlowski / Constanze Prelle
10. Juli – 13. September 2020

Städtische Galerie Alte Schlosserei Lehrte
Die, Mi, Do, Frei und So von 14 – 18 Uhr


In der Kunst materialisieren sich Ideen in Werken, die aus Materialen bestehen, die jeweils eine eigene spezifische Beschaffenheit besitzen. Daher stellt die Wahl des Materials bereits eine wichtige Entscheidung im künstlerischen Prozess dar. Die Auseinandersetzung mit Materialität ist das verbindende Element der drei ausstellenden Künstler, deren Werke unabhängig voneinander entstehen. Die gemeinsame Präsentation eröffnet neue Wahrnehmungsebenen in der wechselvollen Betrachtung der Objekte hinsichtlich ihrer Farbigkeit, Haptik, Materialität und Wirkung im Raum.

Elke Lennartz verwendet Restmaterialien aus Fertigungsprozessen, deren Form sie bearbeitet und mit Gaze und Farbe überzieht. Die abstrakten Objekte werden zu ausdrucksvollen Trägern von Bewegung, Stabilität und Nachgiebigkeit. Ihr intensives Farbgewand macht sie zu Zeichen im Raum.

Klaus Madlowski setzt verschiedene Materialien wie Holz, Metall, Beton oder Abfälle vom Architekturmodellbau ein. Seine Reliefs und Objekte, die meist einer geometrischen Formensprache verpflichtet sind, befragen mit ihren Clustern, Schichten und Formen den Raum auf spielerische Weise.

Constanze Prelle läßt Klebeband und Folien zu Protagonisten von Bildern, Objekten und Interventionen im Raum werde, Materialien, die sonst hinter ihrer Funktion verschwinden. Den Werken ist das Prozesshafte der Arbeitsweise eingeschrieben, das sich in Rastern, Strukturen und Gebilden ausdrückt.




Ausstellungen 2019

BBK-Jahresausstellung
Was bewegt

Galerie im Stammelbach-Speicher
27. Oktober – 24. November 2019


Voluptas carnis 
Fleischeslust 2019

»Wir kennen von allem den Preis und von nichts den Wert« O. Wilde

Lethe Fluch und Segen 2019




Meine nächste Ausstellung findet im Braunschweiger Raum statt, in Schöningen, der Stadt der Speere.

Ich würde mich freuen, Sie am 31. März 2019 um 11 Uhr im Kunstförderverein Schöningen, Brauhof 12 begrüßen zu dürfen.


Ausstellungen 2018

driften

Klaus Madlowski / Elke Lennartz / Constanze Prelle

im Kunstverein Barsinghausen in die Galerie Intermezzo, City-Center, Marktstr. 38, 30890 Barsinghausen

Einführung: Prof. Wilfried Köpke
Ausstellungsdauer: 19. Oktober – 18. November 2018
Sa. 11 – 15 Uhr, So. 15 – 18 Uhr, Do. 15 – 20 Uhr


Was Kunst mit uns macht!

Wahrheit, Aura, symbolische Bedeutung
Laboratorium Philosophie

Gäste des Abends: Dr. Nadine Haepke, Architektin, Elke Lennartz, Bildhauerin, Prof. Dr. Peter Rautmann, Kunsthistoriker
Samstag 22. September 2018, 19 Uhr auf dem Hermannshof, 31832 Springe-Völksen


genius loci

Der Geist des Ortes

Ausstellung von 20 KünstlerInnen des BBK Hildesheim im Dommuseum Hildesheim
anlässlich des 40jährigen Bestehens vom 16. August – 9. September 2018

Elke Lennartz / SPURENSUCHE / 2018 / Kunststoff, Gaze / ca. 2 m je Einzelobjekt

Spuren, die wir hinterlassen – Wege, die wir gehen: Die Installation besteht aus Skulpturen des Arbeitszyklus »Wege«, bei dem jedes feingliedrige Element für einen persönlich beschrittenen Weg steht. In Verbindung mit der Ausgrabungsstätte zeigen die Zeitspuren unser Eingebettetsein in Überlieferung und Kultur, Tradition und Handlungsmuster.



Kleine Skulpturen

planther 27

Galerie für Kunst und Objekt

Plantherstr. 27
301075 Hannover
Mo. – Fr. 14 – 18 Uhr
oder nach Vereinbarung


Wenn Geist zu haben heißt, sich Vorstellungen zu machen, dann heißt Kunst, Betrachter dazu zu bewegen, sich bestimmte Vorstellungen zu machen. Bildhauer und Maler schaffen dafür anschauliche Gebilde, die von ihnen selbst oder Helfern verfertigt werden. Die Zu- und Vorbereitung der zur Verfertigung eingesetzten Materialien sowie die Verfertigung der Kunstwerke erfordern gelegentlich hohe handwerkliche Fähigkeiten. Viele Betrachter halten das handwerkliche Können für etwas künstlerisch Wesentliches. Das ist es aber nicht.

Erst im zwanzigsten Jahrhundert wurde die Trennung der Betrachtung des künstlerischen Handwerks von der des künstlerischen Gegenstands thematisiert und im Kunstwerk vollzogen. Heute ist es möglich, Kunstwerke rein, ohne Berücksichtigung des Handwerks, zu betrachten.

Elke Lennartz gehört zu den Künstlerinnen, die unsere immer noch vorhandene Neigung, nach dem Handwerk zu fragen und das Kunstwerk handwerklich zu beurteilen, strategisch unterlaufen.

Zum einen findet sich diese Strategie schon in ihrem handwerklichen Zugriff – weshalb es überraschenderweise doch wichtig ist, ihr Handwerk zu betrachten. Elke Lennartz erarbeitet ihre Skulpturen fast ausschließlich aus standardisierten Industrieerzeugnissen, häufig Resten automatischer Fertigung, ihre Arbeitstechniken sind unkompliziert. Handwerkliche Virtuosität spielt keine Rolle. Nahezu jeder wäre nach kurzer Information über das Wie in der Lage, selbst Dinge á la Lennartz herzustellen – nur Kunstwerke wären sie nicht. (Wie es zum Beispiel nicht schwierig wäre, Formeln á la Einsteins E = m · c2 zu ersinnen und aufzuschreiben. Nur wissenschaftliche Formeln wären sie nicht.)

Zum anderen erklären Elke Lennartz‘ Kunstwerke ihre technische Entstehung für völlig irrelevant. Lässt man sich betrachtend auf ihre Kunstwerke ein, erfährt man geradezu, dass Wissen um ihre handwerkliche Verfertigung der Begutachtung nicht ein Gramm Lust oder Bedeutung hinzufügt. Elke Lennartz‘ gelungene Kunstwerke geleiten den Betrachter durch ihre Überzeugungskraft in eine Welt, die sich selbst – und dem Betrachter – genügt, unabhängig von den Bedingungen ihrer Kreation. Einerseits stehen Elke Lennartz‘ gelungene Kunstwerke nur für sich selbst, andererseits aber ziehen sie den Betrachter in eine Selbsterfahrung, die dem begrifflichen Γνῶθι σεαυτόν des Sokrates ein sinnliches Erkenne dich selbst! zur Seite stellt – der Betrachter fühlt sich im Innersten angerührt. Elke Lennartz‘ gelungene Kunstwerke führen uns gelungenes Sein vor, ohne dessen spezifische Bedingungen zu problematisieren. Vor solch gelungenem Sein erfassen wir uns und unsere Lebensaufgabe wieder.

Mai 2017
Jost Merscher